Großer Dissens, großer Konsens: Die EU-Dienstleistungsrichtlinie - Ein typischer Fall der EU-Gesetzgebung?


Daimer, Stephanie


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URL: https://madoc.bib.uni-mannheim.de/2787
URN: urn:nbn:de:bsz:180-madoc-27878
Dokumenttyp: Dissertation
Erscheinungsjahr: 2008
Titel einer Zeitschrift oder einer Reihe: None
Ort der Veröffentlichung: Mannheim
Hochschule: Universität Mannheim
Gutachter: König, Thomas
Datum der mündl. Prüfung: 6 November 2008
Sprache der Veröffentlichung: Deutsch
Einrichtung: Fakultät für Sozialwissenschaften > Politikwissenschaft, Europäische Politik (König 2007-)
Fachgebiet: 320 Politik
Fachklassifikation: THES_SOZ: Koalitionsbildung [11] Interessenkonflikt [60] Europäische Union > EU [2102] Gesetzgebung [175] Rational-Choice-Theorie [26] ,
Normierte Schlagwörter (SWD): Europäische Union / Dienstleistungsrichtlinie , Gesetzgebung , Rational Choice
Freie Schlagwörter (Deutsch): EU-Erweiterung , Interessendissens , Koalitionsbildung
Freie Schlagwörter (Englisch): EU enlargement , dissent of interests , coalition building
Abstract: Großer Dissens, großer Konsens – die Dienstleistungsrichtlinie, die als eines der ersten Gesetzesvorhaben in der erweiterten Europäischen Union (EU) im Jahre 2004 diskutiert wurde, zeigte beide Merkmale der EU-Gesetzgebung, die typischerweise Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und (bisweilen auch) der öffentlichen Aufmerksamkeit sind. Die Mitgliedstaaten hatten sehr unterschiedliche Interessen darüber, wie die Dienstleistungsfreiheit im europäischen Binnenmarkt verwirklicht werden sollte. Am Ende der Beratungen im Jahre 2006 einigten sie sich schließlich auf einen Kompromiss, dem nahezu alle Regierungen zustimmen konnten. Die Fallstudie des Entscheidungsprozesses der Dienstleistungsrichtlinie hat zwei Motivationen. Sie soll zum Verständnis eines Falles beitragen, der als besonders kritisch galt, weil der Regelungsanspruch des Gesetzesvorhabens sehr umfassend formuliert ist und weil mit der Verwirklichung des EU-Binnenmarktes für Dienstleistungen große Wachstumshoffnungen verbunden sind. Die zweite Motivation ist, zu überlegen, inwiefern aus diesem Fall Schlussfolgerungen für die Gesetzgebung in der erweiterten EU gezogen werden können. Vielfach war im Vorfeld der Erweiterung erwartet worden, dass die Aufnahme der acht mittel- und osteuropäischen Transformationsstaaten sowie Zyperns und Maltas die Gemeinschaft deutlich heterogener machen würde und sich dies auch auf die Interessenkonstellation in der Gesetzgebung auswirken würde. Es gab Befürchtungen, dass es in einer EU der 25 statt 15 Mitglieder deutlich schwieriger sein müsste, Einigungen zu erzielen oder dass zumindest keine weit reichenden Entscheidungen mehr getroffen werden könnten. Ein Reformstau drohte. Am Beispiel der EU-Dienstleistungsrichtlinie überprüft die Arbeit, wie der Themenraum der erweiterten EU aussieht, d.h. welche Akteurskonstellationen es gibt. Die Daten zu den Idealpositionen der 25 Regierungen (sowie der Kommission und der Fraktionen des Europäischen Parlaments) stammen aus standardisierten Interviews, die im Januar 2006 erhoben wurden. Wie sich die Akteure im Konfliktraum zueinander verorten, lässt sich mittels einer Item-Response-Modellierung schätzen. Man kann sie in der hier angewandten Form als das Pendant zur Faktorenanalyse sehen, für die metrische Daten vorausgesetzt werden. Aufgrund der Tatsache, dass in der Regel ein bayesianischer Schätzalgorithmus verwendet wird, wird auch der Begriff "bayesianische Faktorenanalyse" verwendet. Es zeigt sich, dass die Interessensunterschiede zwischen den Akteuren zu den 23 Themen der Dienstleistungsrichtlinie zwei grundlegende Konfliktmuster bilden. Diese, so lässt sich zeigen, stellen ein typisches Gesetzgebungsszenario dar, wie es für die Binnenmarkt-Gesetzgebung nach der Erweiterung erwartet werden kann. Generell kann festgestellt werden, dass die Erweiterung das Lager der liberalisierungsfreundlichen Mitgliedstaaten gestärkt hat. Nimmt man an, dass dies wie im Fall der Dienstleistungsrichtlinie bedeutet, dass diese Staaten mehr substanziellen Politikwandel befürworten, so könnte das zumindest theoretisch bedeuten, dass die EU nach der Erweiterung weit reichendere Entscheidungen treffen kann. Dies steht im Gegensatz zu den Befürchtungen einer Reformblockade. Die vorliegende Analyse sowie die laufende Diskussion der Forschung zur Erklärung des Abstimmungskonsenses deuten außerdem darauf hin, dass informale Institutionen für den Konsens zwischen den Mitgliedstaaten ausschlaggebend sind und dass diese auch nach der Erweiterung funktionieren. Allerdings kommt es nicht allein auf den Konflikt zwischen den Mitgliedstaaten an. Bei der Dienstleistungsrichtlinie findet der zweite Hauptkonflikt zwischen den Organen, insbesondere zwischen Rat und EP statt. Die unterschiedlichen Handlungslogiken der Organe und insbesondere die Rolle des EP, das im Mitentscheidungsverfahren formal ein gleichberechtigter Gesetzgeber neben dem Rat ist, machen dieses Ergebnis plausibel. Eine Prozessanalyse des Entscheidungsprozesses zeigt, dass der Kompromiss über die Dienstleistungsrichtlinie deutlich die Handschrift des EP trägt.
Übersetzter Titel: Broad dissent, broad consensus: The services directive of the EU - A typical case of EU legislation? (Englisch)
Übersetzung des Abstracts: Broad dissent, broad consensus – the services directive, which has been discussed as one of the first legislative proposals in the enlarged European Union (EU) in 2004, had both of these characteristics of EU legislation, which are typically the subject of academic discussion and (sometimes also) of public awareness. The member states held quite different interests on the question how the freedom of services should be realized in the internal market. In the end, in 2006, they found a compromise which almost all governments approved. The case study of the decision-making process of the services directive has two motivations. It shall contribute to the understanding of a case, which is very critical, as the proposal has a very broad, horizontal design and because high expectations of economic growth are linked to the realization of the internal market for services. The second motivation is to think about how this case allows conclusions for decision-making in the enlarged EU. On the eve of the enlargement, many observers expected that the accession of the eight central and eastern European transformation states as well as Malta and Cyprus would lead to remarkably more heterogeneity of the Union and that this fact would also have impact on interest conflicts in legislation. It was feared that it should be by far more difficult to reach at compromises in an EU of 25 instead of 15 members or that at least there would be no more far reaching decisions. Using the case of the services directive, this piece analyses how the issue space of the enlarged EU looks like, i.e. what kind of actor constellations appear. The data on the ideal positions (interests) of the 25 governments (as well as the Commission and the party groups of the European Parliament) have been gathered in standardized interviews, which were conducted in January 2006. How the actors are located in the issue space can be estimated using an Item-Response-model. The way this model is employed here corresponds to the use of factor analysis for metric data. As there is often a Bayesian estimation procedure used, the term “Bayesian factor analysis” is also being used. The analysis shows that the interest conflicts on 23 single issues of the services directive in principle reflect to major latent conflict patterns. These, as it is shown, represent a typical post-enlargement legislation scenario for internal market issues. Generally, the enlargement strengthens the coalition of liberalization-prone member states. Assuming that this means – as is the case for the services directive – that these states favour substantially more policy change, this could theoretically mean, that the EU is able to agree on farther reaching decisions after enlargement. This is in contrast to any fears of gridlock. The analysis as well as the current scholarly debate on the voting consensus in the EU moreover point to the fact, that informal institutions are important to reach at this consensus, and it seems that these institutions still work after the enlargement. However, the conflict among member states is but one important factor. For the services directive, the second major conflict took place between the institutions, in particular between the council of ministers and the parliament. The different functional logics of these bodies and in particular the role of the parliament, which is in the co-decision procedure a formally co-equal legislator, underline the plausibility of this result. Process tracing of the decision-making process reveals that for the compromise on the services directive clearly the parliament hold the pen. (Englisch)
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